Kultursensible Pflege – Ein Schritt zu mehr Menschlichkeit
Die kultursensible Pflege legt den Fokus darauf, pflegebedürftigen Menschen ein Leben im Einklang mit ihren individuellen Werten und kulturellen sowie religiösen Bedürfnissen zu ermöglichen. Im Zentrum stehen die Menschenwürde und der Respekt vor dem Individuum, unabhängig von seiner Herkunft, seinen Werten oder seinem Glauben. Dieser Ansatz zielt darauf ab, dass Menschen auch im Pflegealltag nach ihren eigenen Vorstellungen leben können – sei es durch spezielle Ernährung, das Ermöglichen von Gebeten oder den Respekt vor geschlechtsspezifischen Vorlieben bei der Pflege.
Der § 2 SGB XI unterstreicht diesen Anspruch, indem er festlegt, dass in der Pflegeversicherung sowohl geschlechtsspezifische Unterschiede als auch die Bedürfnisse nach kultursensibler Pflege berücksichtigt werden sollen. Damit ist festgeschrieben, dass die pflegerische Versorgung nicht nur auf die körperlichen, sondern auch auf die seelischen und kulturellen Bedürfnisse der Betroffenen eingehen muss.
Voraussetzungen für eine kultursensible Pflege
Damit kultursensible Pflege erfolgreich umgesetzt werden kann, bedarf es bestimmter Voraussetzungen, sowohl seitens der Pflegekräfte als auch der Pflegeeinrichtungen:
- Interkulturelle Kompetenz: Pflegekräfte müssen sich aktiv Wissen über verschiedene Kulturen aneignen, um kulturelle Unterschiede zu verstehen und zu respektieren.
- Aufgeschlossenheit und Empathie: Es erfordert die Bereitschaft, sich auf die Lebenswelten der Pflegebedürftigen einzulassen, ohne dabei Vorurteile oder voreilige Schlüsse zu ziehen.
- Sprache: Kommunikation ist ein zentraler Aspekt der Pflege. Pflegekräfte sollten sich sprachlich weiterbilden oder es sollte nach Möglichkeit muttersprachliches Pflegepersonal eingesetzt werden, um Missverständnisse zu vermeiden.
- Fortbildungen: Um Pflegekräfte auf die Anforderungen einer kultursensiblen Pflege vorzubereiten, sind regelmäßige Schulungen und Fortbildungen essenziell. Es gibt zahlreiche Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die speziell auf die Themen interkulturelle Kompetenz, kultursensible Pflege und interkulturelle Kommunikation eingehen.
- Religiöse Bedürfnisse: Dies kann die Anpassung des Pflegeablaufs an Gebetszeiten, die Einrichtung von Gebetsräumen oder die Einhaltung religiöser Speisevorschriften beinhalten.
- Geschlechtsidentität: Auch die Frage, ob eine pflegebedürftige Person von einer Frau oder einem Mann gepflegt werden möchte, muss respektiert werden.
Erfahrungen aus der Praxis
In der Praxis zeigen sich die Herausforderungen. Pflegekräfte berichten oft, dass im Alltag nur wenig Zeit bleibt, sich umfassend über die kulturellen Hintergründe der Pflegebedürftigen zu informieren oder sogar neue Sprachen zu erlernen. Dies führt häufig zu Missverständnissen und Spannungen, insbesondere wenn die Kommunikation scheitert. Menschen fühlen sich nicht verstanden, was zu Frustration, Traurigkeit oder Rückzug führen kann.
Umso wichtiger ist es, dass Pflegekräfte mit Feingefühl und Offenheit an ihre Arbeit herangehen. Gleichzeitig können sie selbst von den Erfahrungen profitieren, wenn sie die Möglichkeit haben, fremde Rituale mitzuerleben oder gar mitzugestalten. Solche Momente können bereichernd sein und das Verständnis zwischen Pflegekraft und Pflegebedürftigem stärken.
Eine besondere Herausforderung stellt die kultursensible Pflege bei Menschen mit Demenz und Migrationshintergrund dar. Betroffene erleben oft eine “dreifache Fremdheit” – den Verlust ihrer Heimat, den Verlust ihrer Sprache und den Verlust ihrer kognitiven Fähigkeiten. In solchen Fällen kann der Rückgriff auf frühere Kindheitserinnerungen hilfreich sein. Pflegekräfte können dabei unterstützen, indem sie Fotoalben, Lieder oder traditionelle Gerichte einbeziehen, die Erinnerungen aus der alten Heimat wachrufen.
Initiativen wie die Bundesinitiative „DeMigranz“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, Informations- und Beratungsangebote für pflegebedürftige Menschen mit Migrationshintergrund und ihre Angehörigen bereitzustellen. Solche Angebote tragen dazu bei, die besonderen Bedürfnisse dieser Personengruppe besser zu verstehen und umzusetzen.
Kultursensible Wohnformen
Kultursensible Wohnformen spielen eine zunehmend wichtige Rolle in der Pflege und Betreuung von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen und sozialen Hintergründen. Dabei geht es darum, individuelle Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund oder spezifischen kulturellen und religiösen Prägungen zu berücksichtigen, um ihnen ein möglichst vertrautes und würdiges Lebensumfeld zu bieten. Einige Pflegeeinrichtungen in Deutschland haben sich bereits auf solche kultursensiblen Angebote spezialisiert.
Ein Beispiel dafür ist das Lina-Oberbäumer-Haus in Soest oder auch das Damenstift in München. Beides Alten- und Pflegeheime, die sich ausschließlich an Frauen richten. Diese Einrichtungen bieten Frauen einen geschützten Raum, der auf deren spezifische Bedürfnisse und Wünsche eingeht. Solche Angebote können besonders für Frauen aus patriarchalisch geprägten Gesellschaften oder mit konservativ-religiösem Hintergrund von Bedeutung sein, da sie dort eine Umgebung vorfinden, die Rücksicht auf geschlechtsspezifische kulturelle Normen nimmt.
Ein weiteres Beispiel ist der Frankfurter Verband, der mit seiner Regenbogenpflege gezielt auf die Bedürfnisse von LSBTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und intergeschlechtliche Menschen) eingeht. Hier werden Menschen betreut, die sich häufig in traditionellen Pflegeeinrichtungen mit Vorurteilen oder fehlender Akzeptanz konfrontiert sehen. Diese spezialisierte Pflege bietet ihnen ein sicheres Umfeld, in dem ihre Lebensweisen und Identitäten respektiert und verstanden werden.
Auch für Menschen muslimischen oder jüdischen Glaubens gibt es mittlerweile Pflegeeinrichtungen, die ihren religiösen und kulturellen Bedürfnissen gerecht werden. Zum Beispiel eröffnete in München das Pflegeheim Hans-Sieber-Haus erstmals einen Bereich für Muslime. Oder auch das Pflegezentrum Henry und Emma Budge-Stiftung, das in Frankfurt im Sinne des Stifterehepaares ältere, Unterstützung benötigende Menschen jüdischen und nicht-jüdischen Glaubens betreut. In solchen Heimen wird beispielsweise auf religiöse Speisevorschriften geachtet, es werden Gebetsräume angeboten, und die Pflegekräfte sind für die spezifischen kulturellen und religiösen Besonderheiten ihrer Bewohner sensibilisiert.
Diese Beispiele zeigen, dass kultursensible Pflege zunehmend an Bedeutung gewinnt, da sie den Menschen ein Lebensumfeld bietet, das Rücksicht auf ihre kulturellen, religiösen und sozialen Besonderheiten nimmt und damit zu einem höheren Wohlbefinden beiträgt.
Fazit
Kultursensible Pflege ist ein zentraler Baustein, um den vielfältigen Bedürfnissen einer immer heterogeneren Gesellschaft gerecht zu werden. Sie setzt auf Respekt, Offenheit und interkulturelle Kompetenz, damit jeder Mensch – unabhängig von Herkunft und Kultur – in Würde altern kann.