Beruf und Pflege- wie man beides schafft ohne selbst geschafft zu sein
Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ist – für Unternehmen wie auch für den Arbeitnehmer – keine leichte Sache. Im Job und zuhause ist man gleichermaßen gefordert. Der Druck kommt von beiden Seiten. Im Job steht man unter einem Leistungsdruck, muss Arbeitszeiten einhalten und hat Angst vor Gehaltseinbußen und einem Karrierestau. Vielleicht fehlen auch Unterstützung und Akzeptanz? Zu Hause bei der Pflegetätigkeit hingegen besteht ein großer Erwartungsdruck, vielleicht auch Schuldgefühle, da man nicht immer verfügbar ist und glaubt, nie genug zu tun. Es kann zu unvorhergesehenen Ereignissen kommen, die wiederum Stress mit sich bringen. Am Ende fehlen die Freizeit und oft auch die Anerkennung.
Die Folgen sind, dass sich (laut Barmer Pflegereport 2021) fast 60% der pflegenden Angehörigen abgearbeitet und verbraucht fühlen. Und bei über 50% kommen Freunde und Familie zu kurz. Es kann keine Energie mehr aus dem Privatleben gezogen werden.
Der Barmer Pflegereport 2021 kommt zu einer erschreckenden Prognose. Bis 2030 wird die Anzahl der Pflegebedürftigen von aktuell 4,6 auf 6 bis zu Millionen ansteigen. Auch die ambulante Pflege wird weiter ansteigen – von 75% auf bis zu 89%. Parallel steigt der Mangel an Pflegefachkräften. Bis 2030 fehlen ca. 180.000 Pflegekräfte!
Welche Möglichkeiten sieht der Gesetzgeber für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege vor?
Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sorgt für Verbesserungen bei Beschäftigten, die ihre pflegebedürftigen nahen Angehörigen selbst pflegen oder betreuen möchten. Berufstätige Angehörige von pflegebedürftigen Menschen – auch minderjährig Pflegebedürftige – können im Bedarfsfall folgende berufliche Auszeiten in Anspruch nehmen:
- Kurzzeitige Arbeitsverhinderung nach dem Pflegezeitgesetz von bis zu zehn Tagen
- Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz für bis zu sechs Monate
- Familienpflegezeit nach dem Familienpflegezeitgesetz für die Dauer von zwei Jahren
- Freistellung zur Begleitung in der letzten Lebensphase nach dem Pflegezeitgesetz für bis zu drei Monate
Schöpfen Sie die Angebote und Leistungen der Pflegeversicherung aus!
Pflegen Sie einen nahen Angehörigen zu Hause, haben Sie Anspruch auf verschiedene Hilfen und Leistungen von der Pflegeversicherung. Hier gilt ganz klar: Wissen ist Macht! Denn je besser Sie informiert sind, desto besser können Sie die Angebote und vor allem die finanziellen Unterstützungen nutzen. Und das sollten Sie auf jeden Fall tun. Wichtig ist, dass es einen anerkannten Pflegegrad gibt. Davon abhängig sind die Leistungen. Ein kurzer Überblick:
- Die Pflegeversicherung zahlt pflegenden Angehörigen das sogenannte Pflegegeld.
- Alternativ könnenambulante Pflegedienste/ Pflegesachleistung in Anspruch genommen werden
- Es gibt für pflegende Angehörige eine Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretung, die sogenannte Verhinderungspflege
- Pflegebedürftige können auch stundenweise im Tagesverlauf in Pflegeeinrichtungen der Tagespflege oder der Nachtpflege betreut werden.
- Die Pflegeversicherung zahlt für pflegende Angehörige unter bestimmten Voraussetzungen u.a. Zuschüsse zur Rentenversicherung sowie zu Kranken- und Arbeitslosenversicherung.
- Es werden Pflegekurse für Angehörige angeboten. Die dienen nicht nur zur Weiterbildung, sondern auch zum – so wichtigen – Austausch!
- Ist der Wohnraum barrierefrei? Für den Abbau von Barrieren und mehr Wohnkomfort gibt es über die Wohnumfeldverbessernden Maßnahmen der Pflegeversicherung (max. 4.000 Euro) hinaus ein KfW Zuschuss in Höhe von bis zu 6.250 Euro und die Möglichkeit eines KfW Förderkredites von bis zu 50.000 Euro.
Das berufliche Umfeld: Nutzen Sie gesetzliche und innerbetriebliche Regelungen
Es ist und bleibt schwierig Beruf und Pflege miteinander zu vereinbaren. Wir geben Ihnen aber gerne Tipps an die Hand, wie Sie es sich im beruflichen Umfeld leichter machen können:
- Gehen Sie offen mit Ihrer Pflegesituation um! Nur wenn Ihre Kolleg*innen Bescheid wissen, können sie auch Verständnis zeigen und Sie unterstützen. Das heißt natürlich nicht, dass sie über Details informiert werden sollen. Aber wir empfehlen die Pflegearbeit nicht im Berufsalltag zu verheimlichen.
- Haben Sie flexible Arbeitszeiten? Dann nutzen Sie diese für sich! Trauen Sie sich und schauen Sie über den Tellerrand hinaus: Ist es vielleicht möglich bereits besonders früh anzufangen und dann über den Tag hinweg kleinere Pausen zu machen? Oder die späten Stunden des Tages noch zum Arbeiten zu nutzen? Überlegen Sie, was für Sie und Ihren Berufsalltag möglich ist und gehen Sie mit Ihren Vorgesetzten in den Dialog.
- Können Sie im Home Office arbeiten? Probieren Sie es aus und kombinieren Sie es vielleicht gleich mit den flexiblen Arbeitszeiten. Seien Sie dabei bitte immer transparent ihren Vorgesetzten gegenüber.
- Überlegen Sie, ob Pflegezeit oder Familienpflegezeit für Sie in Frage kommen. Es gibt die Möglichkeit einer vollständigen Freistellung oder einer Arbeitszeitreduzierung.
- Nutzen Sie externe Beratungs- und Unterstützungsangebote. Wir vom Viva FamilienService sind immer gerne an Ihrer Seite!
Unsere Tipps für Sie, wie Sie die Pflege zu Hause vielleicht noch verbessern können:
- Organisation: Je besser Sie organisiert sind, desto besser läuft (meist) der Alltag. Im Idealfall kann dann auch Unerwartetes besser aufgefangen werden. Wir empfehlen Familienkonferenzen, um die kommende Zeit (z. B. die kommende Woche oder sogar Monate) zu planen. Führen Sie alle Aufgaben auf, legen Sie fest, wer dafür verantwortlich ist. Und ganz wichtig: Planen Sie für sich Auszeiten ein!
- Selbstfürsorge: Achten Sie auf sich! Denn je besser es Ihnen geht, umso hilfreicher sind Sie für andere. Erkennen Sie eigene Grenzen, akzeptieren Sie diese und kommunizieren Sie die auch! Planen Sie für sich Auszeiten ein (wir müssen es immer wiederholen, weil es so wichtig ist!), nehmen Sie Hilfe in Anspruch und fordern Sie diese aktiv ein! Viele Menschen wollen wirklich helfen, wissen aber nicht wie.
Es kann sein, dass es keine Fortschritte mehr gibt, sondern nur noch Rückschritte. Das schmerzt. Setzen Sie sich mit dieser Ohnmacht und Hilflosigkeit auseinander und freunden Sie sich damit an.
- Bauen Sie sich ein Dorf auf: Nehmen Sie Hilfe von der Pflegeversicherung in Anspruch, organisieren Sie sich Unterstützungsangebote, binden Sie die Nachbarschaft ein – hinweg mit der Anonymität. Gehen Sie offen mit Ihrer Situation um!
- Wissen ist Macht: Je mehr Sie wissen – über die Krankheit, als auch über die Pflege, desto besser können Sie damit umgehen. Oft ist es so, dass die pflegenden Angehörigen die Experten der Krankheit werden und damit exzellente Fürsprecher der zu Pflegenden.
- Verstehen lernen: Der/die Pflegebedürftige ist nicht böse, sondern vielleicht verzweifelt, hilflos oder beschämt. Bleiben Sie in Kontakt und versuchen Sie die Emotionen zu deuten und entsprechend darauf einzugehen. Akzeptieren Sie aber auch die Ablehnung und die Wut.
Und was wenn es einfach nicht mehr geht?
Die häusliche Pflege hängt oft an nur einer Person. Das Leben dieser Person wird durch die übernommene Verantwortung sehr verändert. Gerade bei länger anhaltender Pflege kann es zu körperlicher und psychischer Überlastung oder auch zur Erkrankung der Pflegeperson kommen. Es gibt Warnhinweise, die man auf jeden Fall ernst nehmen sollte, wie zum Beispiel chronische Erschöpfung, starke Gereiztheit, Schlafstörungen, Panikattacken, Aggressionen gegenüber dem Pflegebedürftigen oder Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust.
Im ersten Schritt muss man sich die Überlastung eingestehen und darf die Anzeichen nicht weiter ignorieren. Als sofortige Maßnahmen sollten Sie sich eine kurzfristige Pause einräumen – entweder übernimmt die häusliche Pflege ein anderer Angehöriger oder Sie greifen auf das Angebot der Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege zurück.
Nutzen Sie diese Auszeit um Energie zu tanken. Und überlegen Sie, wie Sie langfristig die Pflegesituation neu organisieren können: Gibt es andere Angehörige, die auch helfen können? Haben Sie bereits einen ambulanten Pflegedienst als Unterstützung? Wenn Sie für sich zu dem Schluss kommen, dass Sie die häusliche Pflege nicht mehr leisten können, ist das auch absolut in Ordnung! Jeder Mensch hat eine Belastungsgrenze und die sollten wir auf jeden Fall respektieren! In dem Fall gibt es auch Alternativen, wie zum Beispiel die 24 Stunden Betreuung oder den Umzug ins Pflegeheim.
Wir beraten Sie gerne persönlich!